Grundlagen

Ein Messer kann Werkzeug und Waffe sein. Abhängig von seinem Einsatz stellen wir bestimmte Forderungen an die Eigenschaften des Materials. Beim Stahl, der meist eine Legierung aus Eisen und Kohlenstoff ist, möchten wir einen guten Kompromiss aus Härte und Elastizität; weiterhin wünschen wir uns eine feinkörnige Struktur, die beim Schleifen eine feine Schneide ermöglicht. Unter bestimmten Bedingungen ist auch Korrosionsfestigkeit eine wünschenswerte Eigenschaft.

Die Härte erlaubt es, die Schärfe einer Schneide über einen längeren Arbeitszeitraum zu erhalten. Zu große Härte hingegen macht die Klinge spröde und kann im Gebrauch zu Ausbrüchen an der Schneide oder gar zum Bruch führen. Die Geometrie einer Klinge, also die Maße und Winkel (Länge, Breite, Materialstärke, Form und Verlauf der Schneide und der Spitze, Schliff usw.), bestimmt zusammen mit dem Einsatzbereich die Auswahl des Materials. So kann man für eine lange, dünne Klinge eines Filetiermessers nur einen Stahl gebrauchen, der sehr elastisch (also biegsam) ist, ohne seine Schärfe schnell zu verlieren. Ein kurzes Jagdmesser muss eine Klinge aus schnitthaltigem Stahl  haben, der im Gebrauch seine Schärfe lange hält. Gleichzeitig darf ein solches Messer nicht an einem stärkeren Knochen oder an einer Dreh- bzw. Hebelbewegung scheitern, muss also auch zäh sein.

Eine der ältesten Methoden, Messerklingen herzustellen, ist das Schmieden. Seit Beginn der Eisenzeit vor etwa 3.000 Jahren hat sich die Technik nicht wesentlich verändert: Eisen, später auch Stahl, wird in einer Esse – meist ein Kohlefeuer mit zusätzlicher Luftzufuhr  –  bis auf Rotglut erhitzt  und mit geeigneten Hämmern in die gewünschte Form geschlagen.  Als Unterlage verwendet man einen Amboss, der die nötige Härte und Masse hat, um die Energie der Hammerschläge in plastische Verformung umzusetzen.

Früher war das Schmieden ausschließlich ein „Erfahrungshandwerk“; die Lehrlinge lernten durch Unter-weisung und Nachahmung, bestimmte Arbeitsabläufe durchzuführen, um die gewünschten Resultate zu erzielen. Heute ist das nicht anders, aber seit es die Metallurgie gibt, wissen wir auch, WARUM ein Stahl unter bestimmten Herstellungsbedingungen diese oder jene Eigenschaften hat. Die Methoden wurden verfeinert, aber die handwerklichen Grundlagen haben sich in 3.000 Jahren kaum verändert.

Wenn eine Stahlklinge in Form geschmiedet wurde, ist sie noch keineswegs fertig. Sie hat noch keine Schneide und keine ansehnliche Oberfläche, und vor allem ist sie noch nicht so hart, wie es für den späteren Einsatz nötig ist. Das Schleifen ist einer von mehreren Arbeitsgängen, bei dem die Klinge ihre endgültige Form und eine ebene, schon recht feine Oberfläche erhält. Geschärft wird sie in diesem Stadium noch nicht. Auch die Angel (oder Erl), also der Teil, der später im Griff liegt, kann einen Schliff erhalten, der auf die unterschiedlichen Erfordernisse der Befestigung am Griff vorbereitet. Gegebenenfalls müssen auch Bohrungen für die Vernietung von Griffschalen angebracht werden.

Nun folgt das Härten des Stahls, ein Vorgang, der eine hochwertige Klinge oder Stahlschrott entstehen lassen kann. Vereinfacht kann man die Härtung so erklären, dass sich die Moleküle im Kristallgitter des Stahls durch das plötzliche Abschrecken der glühenden Messerklinge in Öl oder Wasser quasi „verspannen“. Die so entstehende hohe Härte wird anschließend durch eine Wärmebehandlung (Anlassen, Tempern)  abgemildert, um eine ausreichende Zähigkeit des Stahls zu erreichen. Dadurch reduziert sich die maximale Härte etwas.

Besonders reizvoll aus der Sicht des vielseitigen Handwerkers ist das Messermachen dadurch, dass zur Herstellung neben der Metallbearbeitung auch Fertigkeiten auf dem Gebiet der Holz- und der Leder-bearbeitung benötigt werden. Eine gute Ergonomie, eine angenehme Haptik, schöne Materialien und feine Oberflächen entscheiden darüber, ob neben der Funktion auch unsere Ansprüche an Ästhetik und Schönheit angesprochen werden. Viele exotische Hölzer haben sehr gute Eigenschaften für haltbare und schöne Griffe, aber auch einheimische Hölzer – oft gerade deshalb als weniger interessant eingestuft – sind ausgezeichnete und durchaus schöne Materialien und haben gerade durch ihre unmittelbare „Nachbarschaft“ zum Macher und zum Besitzer eines Messers eine besondere Ausstrahlung. Andere Werkstoffe wie (Mammut-)Elfenbein, Horn, Knochen, Leder, Zähne von großen Tieren (Flusspferd, Walross, Warzenschwein usw.). und Elch-, Hirsch- bzw. Antilopenhorn sind in ihrer Bearbeitung wieder ganz anders und haben ihren speziellen Reiz.

Die Lederscheiden fallen handwerklich wieder in einen ganz anderen Bereich und erfordern eine Einstellung auf andere Techniken und Werkzeuge. Auch hier gibt es eine Vielfalt von sehr unterschiedlichen Materialien und Verarbeitungsmöglichkeiten. Hinzu kommt, dass wir nicht nur unsere traditionellen lokalen Formen, Farben und Dekors bei dieser Arbeit einsetzen, sondern uns auch von Originalen, Abbildungen und Beschrei-bungen von Messerscheiden anderer Völker und Kulturen inspirieren lassen können und so unser kreatives Spektrum erweitern.

Wenn die Scheide fertig ist, kann die Klinge zu ihrer endgültigen Schärfe gebracht werden. Das darf nicht an rotierenden Werkzeugen gemacht werden (Ausnahme: wassergekühlte Schleifsteine), weil sonst die Reibungshitze die Härte der Schneide vermindern würde. Stattdessen werden sog. Banksteine in verschiedenen Körnungen verwendet, mit deren Hilfe man auch harte Klingen rasiermesser-scharf machen kann.

Am Ende aller Arbeitsvorgänge steht im glücklichen Fall ein Messer, das nicht nur ein nützliches Werkzeug, sondern auch ein ästhetisches Produkt eines schon fast erloschenen Handwerks ist; das uns begleitet und uns bei jeder Benutzung nicht allein eine gute Funktion bietet, sondern auch ein geradezu sinnliches Vergnügen beim Kontakt mit der Hand. Solche individuellen Messer haben eine „Seele“, und das unterscheidet sie von industriellen Produkten aus Massenfertigung.